Erwachsenenhaende halten kleine Babyfueße.© Vad-Len / iStock / Getty Images Plus
Nach der Entbindung versorgen Hebammen Neugeborene und Mütter und dokumentieren die Geburt. Darüber hinaus betreuen sie die Mutter in den ersten Tagen nach der Geburt, übernehmen die Nachsorge des Neugeborenen und beraten in Fragen der Säuglingspflege und -ernährung.

Hebammenreformgesetz

"ICH BIN NOCH IMMER MIT LEIDENSCHAFT HEBAMME"

Der Beruf der Hebamme ist einer der ältesten der Welt. Monika Scholz, selbst Hebamme und seit kurzem Leiterin der Hebammenschule in Mainz, spricht im ersten Teil unseres Interviews unter anderem über das Hebammenreformgesetz, warum der Beruf vor kurzem akademisiert wurde und wie man dem Nachwuchsmangel entgegenwirken könnte.

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Bislang wurden Hebammen an Schulen ausgebildet, in Rheinland-Pfalz in Mainz, Koblenz und Speyer. Durch das Hebammenreformgesetz 2019 wurde der Beruf der Hebamme akademisiert: Das duale Studium ersetzt ab 2023 die Ausbildung an einer Hebammenschule. Wer aktuell noch in Ausbildung ist, kann sie bis dahin fortsetzen.

Frau Scholz, Sie haben vor kurzem die Leitung der Hebammenschule in Mainz übernommen. Was hat sich seit dem Hebammenreformgesetz für die Schüler*innen und auch die Schulen geändert?

Monika Scholz: Im November 2019 hat der Gesetzgeber mit der Novellierung des Hebammengesetzes die vollständige Akademisierung des Hebammenberufs beschlossen. Die Komplexität der zugewiesenen Aufgaben in der Hebammenarbeit waren mit einer fachschulischen Ausbildung nicht mehr abbildbar und die Abschlüsse nicht mehr vergleichbar mit anderen Ländern der EU. Zudem machte der zunehmende Fachkräftemangel ein politisches Handeln erforderlich. Damit verändert sich die Ausbildung von Hebammen in Deutschland grundlegend: Die fachschulische Hebammenausbildung wird durch ein duales Studium abgelöst. Angehende Hebammen werden künftig in einem dualen Studium ausgebildet und können dadurch ein wissenschaftliches Studium mit einer beruflichen Ausbildung verbinden.

Im Oktober 2022 hat in der Hebammenschule Mainz der letzte traditionelle Ausbildungsgang mit Kurs 68 begonnen, dieser endet im Oktober 2025. Die Hebammenschule Mainz kann auf eine sehr lange Tradition zurückschauen, sie ist eine der ältesten Hebammenschulen Deutschlands. Sie wurde bereits 1476 vom Kurfürsten Diether von Isenburg gegründet. Unsere Hebammenschülerinnen haben über all die Jahre eine fachlich, theoretisch sehr gute Ausbildung absolvieren können. Wir haben unsere Ausbildung den veränderten Bedingungen innerhalb der Gesellschaft und den veränderten Anforderungen in der Geburtshilfe immer wieder angepasst. Durch die Praxiseinsätze (3000 Stunden in drei Jahren) an der Universitätsmedizin Mainz und dem Marienhaus Klinikum Mainz haben sie auch praktisch eine sehr fundierte Ausbildung erhalten, sodass wir jedes Jahr circa 15 sehr gut ausgebildete Hebammen mit dem staatlichen Hebammenexamen und der Berufszulassung entlassen konnten.
Ab dem Jahr 2023 müssen alle zukünftigen Hebammen an einer Hochschule studieren, um ihre Berufszulassung zusammen mit einem Bachelorgrad zu erwerben. Im WS 23/24 haben 19 Studierende der Hebammenwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität ihr Studium aufgenommen. Wir bieten zukünftig jeweils zum Wintersemester 30 Studienplätze an.

Das duale Studium an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz umfasst sieben Semester mit insgesamt 4600 Stunden, die sich in einen berufspraktischen und einen hochschulischen Teil gliedern. 2200 Stunden entfallen auf den berufspraktischen Teil mit einem hohen Anteil an Praxisanleitung. Dieser wird zukünftig an den Praxiseinsatzorten der Universitätsmedizin Mainz und des Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein in Koblenz mit den jeweiligen Kooperationspartnern stattfinden. Sowie das Externat bei freiberuflichen Hebammen oder in ambulanten hebammengeleiteten Einrichtungen. Der hochschulische Teil beinhaltet theoretische und praktische Lehrveranstaltungen im Rahmen von zum Beispiel Simulationen und Transferseminaren. 

Der Abschluss des Studiums erfolgt durch die Verleihung des akademischen Grades des Bachelors of Science (B.Sc.)  Die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Hebamme wird erteilt, wenn das Studium inklusive der staatlichen Prüfungen und der Bachelorarbeit erfolgreich absolviert wurden. Da das Hebammenstudium ein duales Studium ist, erhalten die Studierenden eine Studien-Vergütung von der Klinik. Die Studierenden lernen, wie auch bisher die Hebammenschülerinnen, Frauen und Familien in einer der wichtigsten Phasen ihres Lebens professionell zu begleiten. Ihnen während Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und so das Wohlergehen und die Gesundheit von Müttern und Kindern nachhaltig zu beeinflussen. Sie lernen, komplexe Betreuungsprozesse für Schwangere, Gebärende, Wöchnerinnen und Stillende zu planen, zu steuern und zu gestalten. Dabei berücksichtigen sie wissenschaftliche Erkenntnisse und treffen fundierte Entscheidungen für Prävention und Gesundheitsförderung. Ein neuer Schwerpunkt im Studium, im Vergleich zur Hebammenausbildung, ist die verstärkte Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungsgebieten der Hebammenwissenschaft und dem Transfer dieses Wissens in die berufliche Praxis. Dabei lernen die Studierenden, forschungsbasierte Problemlösungen zu entwickeln und neue Technologien in ihrer Arbeit einzusetzen. Außerdem lernen Sie, Fort- und Weiterbildungsbedarfe im Hebammenbereich zu erkennen. Im Studium wird sowohl theoretisches als auch praktisches Wissen analytisch und kritisch hinterfragt. Die werdenden Hebammen sollen lernen, auf wissenschaftlicher Basis zu arbeiten und ihr Wissen gezielt einzusetzen. Dadurch kann die Weiterentwicklung des Hebammenberufs vorangetrieben und eine hohe Qualität in der Betreuung von Frauen und ihren Familien weiterhin gewährleistet werden.

 

Wird sich das Studium auf die schon ausgebildeten Hebammen auswirken?

Das Hebammenwesen sieht sich durch die Vollakademisierung mit der Herausforderung konfrontiert, Spannungen zwischen den nach altem Recht und den akademisch qualifizierten Hebammen zu vermeiden. Es existiert heute ein Nebeneinander von akademisierten und nichtakademisierten Hebammen in Deutschland.

Die Ausbildungen zur Hebamme in Deutschland waren bis dato sehr gut, entsprachen aber nicht mehr den europäischen Standards. Um in Europa als Hebamme anerkannt zu werden, ist daher ab sofort auch in Deutschland ein Studium notwendig. In Deutschland hat aber jede Hebamme, die nach altem Recht ausgebildet wurde, die gleichen Aufgaben und Rechte, wie die akademisierte Hebamme. Alle Hebammen, die ihre staatliche Prüfung an einer staatlich anerkannten Hebammenschule abgelegt haben und die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung erlangt haben, können in Deutschland zeitlich unbeschränkt den Hebammenberuf ausüben. Der Staat muss in jedem Fall Bestandsschutz für Berufsangehörige gewähren, auch wenn die Ausbildungsbedingungen und damit die Zulassungsbedingungen geändert werden.

Für nach altem Recht qualifizierte Hebammen besteht aber die Möglichkeit, berufsbegleitend zu studieren, um den Bachelorgrad zu erwerben, sich also nachzuqualifizieren.
 

Wie nennt sich der neue Studiengang und wo in Rheinland-Pfalz wird er angeboten?

Studiengang Bachelor of Science Hebammenwissenschaft, er ist  mit der Berufszulassung zur Hebamme verbunden. Der duale Studiengang ist an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angesiedelt. In Rheinland-Pfalz ist dies der einzige Studiengang, der an einer Universität verortet ist. Seit dem 1. März 2024 ist Univ.-Prof. Dr. Barbara Fillenberg Inhaberin der neu eingerichteten Professur für Hebammenwissenschaft an der Unimedizin Mainz.  Außerdem kann man in Rheinland-Pfalz noch an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen Hebammenwissenschaft (B.Sc.) studieren.
 

Wie ist in ihren Augen der Studiengang in Mainz angelaufen und wie wird er von den Studierenden angenommen? 

Der Studiengang ist im WS 23 mit 19 Studierenden gestartet. Von Oktober 23 bis Ende Februar 24 war ich interimsmäßig die Studiengangsleitung, bis zum Eintreffen von Fr. Prof. Fillenberg am 01.03.24. Im Rahmen der Vorlesungen konnte den Studierenden bereits viel originäres Hebammenwissen und bezugswissenschaftliches Wissen durch das Lehrpersonal der Hebammenschule vermittelt werden, sodass sie gut in die praktischen Einsätze starten konnten. Die erste Praxisphase liegt nun bereits hinter den Studierenden, bei unseren Praxisbesuchen haben wir positive Rückmeldungen durch die Studierenden bekommen. 

Wir sind im Studiengang Hebammenwissenschaft zurzeit noch ein kleines Team, was nun natürlich immer größer werden muss und wird. Wenn etwas Neues beginnt hat man viele Möglichkeiten selbst zu gestalten, auch wenn vieles neu gedacht und umgesetzt werden muss.  Die Studierenden sind mit großer Begeisterung gestartet, auch wenn natürlich das ein oder andere noch nicht ganz rund läuft. Wir profitieren von unserer langjährigen Erfahrung in der Hebammenausbildung und kennen damit natürlich auch potenzielle Schwierigkeiten im Studiengang. Hier können wir unsere Expertise gut einbringen und die Studierenden adäquat unterstützen. Bis Mitte März hat sich nun bereits die zweite Kohorte beworben und wir freuen uns auf die Bewerberinnen.
 

Sind die Studieninhalte mit den Schulen gekoppelt?

Die Inhalte der Ausbildung zur Hebamme richten sich nach der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebAPrV) vom 16. März 1987. Für das Studium gilt die Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen vom 8. Januar 2020.
Natürlich gibt es viele fachlich inhaltliche Überschneidungen, allerdings ist die wissenschaftliche Ausrichtung durch die Umstellung auf Hochschulniveau viel stärker in den Fokus gerückt. Die Studierenden lernen ihr Handeln anhand von hebammenwissenschaftlichen und bezugswissenschaftlichen Erkenntnissen zu reflektieren und begründen.  Diese wissenschaftliche Ausrichtung hatten wir auch schon in der grundständigen Hebammenausbildung am Standort Mainz, aber natürlich nicht in dieser Intensität.
 

Sehen Sie Verbesserungsbedarf? Und wenn ja, wo?

Wir benötigen an den Praxiseinsatzorten sicherlich noch eine höhere Anzahl an Praxisanleiterinnen, da die Praxisanleitung nun vorgeschrieben ist.
Zukünftig müssen sicherlich auch noch weitere Kooperationspartner integriert werden. Wir wünschen uns auch räumlich noch Verbesserungen. An alle diesen Dingen arbeiten wir alle mit Hochdruck und Freude.
 

Was denken Sie, warum wurde der Beruf der Hebamme akademisiert?

Die Akademisierung ist notwendig, um die formalen Anforderungen der EU-Richtlinie umzusetzen. Deutschland ist das Schlusslicht bei der Überführung der Ausbildung zur Hebamme auf Hochschulniveau. Außerdem ist die Komplexität der zugewiesenen Aufgaben in der Hebammenarbeit nicht mehr mit einer fachschulischen Ausbildung abbildbar und die Abschlüsse nicht mehr vergleichbar mit anderen Ländern der EU.
 

Gibt es etwas, dass Sie am Berufsbild ändern würden? Und wenn ja, was?

Am Berufsbild würde ich tatsächlich nichts verändern. Die Hebammenversorgung in Deutschland ist aber leider unzureichend, weil es keine flächendeckende Hebammenvermittlung gibt und im Krankenhaus bleibt wegen der vielen Arbeit und des Personalmangels oft zu wenig Zeit für die Betreuung. Ich würde mir eine Eins-zu-Eins-Betreuung der Frauen während der Geburt wünschen – nur Hebammen-Tätigkeiten und hebammengeleitete Geburtshilfe. Physiologische Geburten benötigen eine physiologische Begleitung durch salutogenetisch arbeitende Hebammen. Wenn Pathologien auftreten, sollte die Übergabe an die MedizinerInnen erfolgen. Im besten Falle sollten diese Professionen in einem Kreißsaal gleichzeitig arbeiten zum Wohl von Mutter und Kind und für eine größere Arbeitszufriedenheit der Hebammen und ÄrztInnnen.

Dazu kommt, dass Hebammen für ihre Arbeit zu schlecht vergütet werden.  Als Hebamme benötigt man oft viel Zeit, dies wird vor allem in der Freiberuflichkeit nicht durch die Vergütungssysteme abgebildet. Denn hier hat man kein festes Gehalt, sondern rechnet einzelne Leistungen ab, der Stundenlohn ist hier wirklich niedrig und entspricht in keinster Weise unserer Profession.
 

In den vergangenen Jahren wurden immer mehr Geburtsstationen geschlossen und Hebammen haben ihren Beruf aufgegeben. Denken Sie, dass ein Studium nun dem Nachwuchsmangel entgegenwirken kann?

Die Akademisierung kann Gruppen von potenziell Interessierten erschließen und die Attraktivität des Berufsbildes „Hebamme" steigern. Durch die Aufwertung des Berufes können wir somit meines Erachtens aktiv dem akuten Hebammenmangel entgegenwirken. Fachliche und akademische Abschlüsse können zudem den Zugang zu Karrierewegen erleichtern, damit gäbe es neue berufliche Perspektiven für unsere Absolventinnen. Sie haben zukünftig die Möglichkeit auch in der Forschung aktiv zu werden und so das Wissensspektrum ihrer Profession zu erweitern, durch Forschungsfragen, die sich an den Bedürfnissen der betreuten Frauen orientieren und sich anders damit auseinandersetzen als die bisher überwiegend medizinisch ausgerichtete Forschung innerhalb der Geburtshilfe. Es besteht damit auch die Möglichkeit zum Beispiel an Leitlinien mitzuarbeiten, in Zusammenarbeit mit anderen Professionen und Fachgesellschaften.

Andere Absolventinnen werden als reflektierte Praktikerinnen ihren Platz im Kreißsaal, auf der Wochenstation oder in der Freiberuflichkeit finden, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis umsetzen und damit die Qualität der Hebammenarbeit verbessern. Durch die Akademisierung stehen ihnen auch hier andere Karrieremöglichkeiten offen.

Ich denke, dass diese erweiterten beruflichen Chancen die Wahl des Berufs erleichtert und sich zukünftig die Zahl der Interessentinnen für den Hebammenberuf erhöhen wird. 

Das Interview für DIE PTA IN DER APOTHEKE führte Nadine Hofmann (Leitung Online-Redaktion)

Im zweiten Teil des Interviews haben wir Monika Scholz unter anderem nach den Aufgaben einer Hebamme gefragt, warum sie sich für diesen Beruf entschieden hat und was sie werdenden Eltern empfehlen würde.
 

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