Viel zu tun? Wenn es gelingt, Distress in Eustress umzuwandeln, kann das die Gesundheit sogar fördern. © SIphotography / iStock / Getty Images Plus

Positiver Stress | Entzündungserkrankungen

STRESS KANN BEFLÜGELN – AUCH DIE DARMGESUNDHEIT

„Ich kenne keinen Stress, ich kenne nur Strass.“ Das, was der Modeschöpfer Karl Lagerfeld damit meinte, bezeichnet den Eustress, der durchaus positiv auf unseren Organismus wirkt: Zum Beispiel auf chronische Entzündungen im Darm, wie Forscher der Uni Kiel jetzt feststellten.

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Morbus Crohn und Colitis ulcerosa – das sind nur zwei der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, unter denen rund 350 000 Menschen in Deutschland leiden. Und zwar mit allem, was dazu gehört: Durchfall, Fieber, Schmerzen, aber auch soziale Ausgrenzung. Ein Bestandteil innerhalb der Darmzellen, der besonders sensibel auf belastende Umwelteinflüsse reagiert, ist das endoplasmatische Retikulum (ER). In dem Organell werden lebensnotwendige Proteine hergestellt. Eine Störung des Systems – der sogenannte ER-Stress - spielt bei der Entzündung der oben genannten Darmerkrankungen eine wesentliche Rolle. Er führt zu einer Bildung von entzündlichen Botenstoffen inklusive dem Zelltod, was letztlich zu einer gestörten Barrierefunktion im Darm führt. Jedoch: Dass die gleichen Signale unter bestimmten Bedingungen auch eine Schutzfunktion im Darm ausüben können, war bislang nicht bekannt.

Professor Richard Blumberg von der Harvard Medical School machte sich zusammen mit Forschern der Uni Kiel und des Uniklinikums Schleswig-Holstein, mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Schweiz, aus Japan und den Niederlanden, auf die Suche: Indem sie künstlichen ER-Stress bei Mäusen erzeugten, zeigte sich eine so nicht erwartete Reaktion: Auf einmal gingen nämlich ganz bestimmte Abwehrzellen aus der Bauchhöhle in die Darmschleimhaut über. Diese Zellen können über die Produktion von Antikörpern vom Typ Immunglobulin A (IgA) die Schutzbarriere der empfindlichen Darmschleimhaut stärken und damit vor überschießenden Entzündungen schützen. Das besondere an den IgA-Antikörpern: Sie werden als einzige direkt in den Darm abgegeben und bilden eine Art Schutzfilm, der die Darmoberfläche von innen auskleidet. Wenn die Forscher aber zusätzlich die Produktion oder den Transport von Antikörpern störten, wurde dieser Effekt unterbunden und es kam zu einer vermehrten Darmentzündung.

Besonders wichtig für diese Studie waren übrigens die Beobachtungen an keimfreien Mäusen. Da in diesen der stimulierende Einfluss von Bakterien, Viren oder Pilzen auf das Immunsystem fehlt, stellen diese Tiere normalerweise nur wenig IgA her. „Allein durch das genetische Erzeugen von ER-Stress in den Darmzellen konnten wir in den keimfreien Mäusen einen deutlichen Anstieg der IgA-Produktion auslösen. Dies zeigt, dass wir es mit einem fundamentalen Schutzmechanismus des Darmes zu tun haben, für den nicht einmal eine natürliche mikrobielle Besiedelung erforderlich ist“, sagt Dr. Niklas Krupka von der Universität Bern, einer der Co-Autoren der Studie.

Die Arbeiten der Forscher zeigen also, dass zelluläre Stressreaktionen im Darm auch positive Wirkungen haben können. Die entscheidende Frage ist aber, zu verstehen, wann die Balance von Schutzfunktion in Schaden umschlägt. „Wenn wir diesen Punkt, der wahrscheinlich früh bei der Entstehung der Krankheit auftritt, besser verstehen, lassen sich hierdurch möglicherweise ganz neue Behandlungsmöglichkeiten ableiten“, betont Professor Philip Rosenstiel vom Institut für Molekularbiologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft 

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